Mercosur: Der Reality Check
Die Diskussionen um das Freihandelsabkommen Mercosur haben zuletzt wieder an Intensität gewonnen. oecolution macht den Reality Check. Was wird überhaupt mit Mercosur geregelt und was nicht?
Die Diskussionen um das Freihandelsabkommen Mercosur haben zuletzt wieder an Intensität gewonnen. oecolution macht den Reality Check. Was wird überhaupt mit Mercosur geregelt und was nicht?
oecolution austria
23.05.2024
6 min
Die Diskussionen um das Freihandelsabkommen Mercosur haben zuletzt wieder an Intensität gewonnen. Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht eine hitzige Debatte im Parlament, bei der der NEOS-Mandatar Gerald Loacker mit seiner Schmährede gegen den Bauernbund für Aufsehen sorgte. Loacker kritisierte den Bauernbund scharf für dessen Widerstand gegen das Abkommen, aus Angst um die heimische Landwirtschaft. Auch die FPÖ fordert im aktuellen EU-Wahlkampf einen Stopp von Freihandelsabkommen wie jenem mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten. „Das umstrittene Freihandelsabkommen MERCOSUR ist der nächste Schlag gegen unsere heimischen Bauern“, heißt es im aktuellen Programm. Befürchtet wird die „totale Abhängigkeit von Lebensmittelimporten, weil es für die heimischen Bauern unmöglich wird, ihre Produkte mit Profit auf den Markt zu bringen“.
Während die einen die heimische Agrarwirtschaft gefährdet sehen, spricht Greenpeace immer wieder von „drastischen“ Zahlen: Der EU-Mercosur-Pakt könnte die Einfuhrquoten für billiges Rindfleisch von 200.000 Tonnen auf 300.000 Tonnen jährlich erhöhen. Auch die Importquoten für Zucker und Bio-Ethanol, das aus Zuckerrohr gewonnen wird, sollen signifikant steigen. Doch wie verlässlich sind diese Zahlen wirklich? oecolution nimmt sich dieser Frage an und versucht, Licht ins Dunkel der aktuellen Debatte zu bringen.
Was wird überhaupt mit Mercosur geregelt und was nicht? Droht wirklich die totale Abhängigkeit? Welche Rolle spielt der globale Handel für Europa und für Österreich? Und welche wirtschaftlichen Implikationen gäbe es, wenn Europa auf Handelsabkommen mit großen Wirtschaftsräumen verzichtet?
Im Kern geht es bei Freihandelsabkommen immer darum, Zölle zu reduzieren und sich bei technische Vorschriften bzw. Normen besser abzustimmen. Im Fall von Mercosur würden laut EU-Kommission nach und nach Zölle auf 91 Prozent der Waren, die EU-Unternehmen in den Mercosur exportieren, beseitigt. Zugangshürden für Unternehmen sollen also reduziert werden, damit der Handel auf beiden Seiten intensiviert und zusätzliche Wirtschaftsleistung und Arbeitsplätze geschaffen werden. Zudem gibt es wechselseitige Verpflichtungen, die Pariser Klimaziele umzusetzen und Wälder nachhaltig zu bewirtschaften.
Die Eckpunkte des Abkommens, dem Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay angehören, wurden bereits 2019 vereinbart – nach 20 Jahren Verhandlungen!
Die finalen Abstimmungen stocken aber. Einige EU-Staaten fordern Nachbesserungen bei Umweltschutzbestimmungen. Einen Vorschlag der EU für eine Zusatzvereinbarung mit Sanktionen für die Nichteinhaltung von Umweltzielen lehnen die Mercosur-Staaten allerdings ab. In Europa mobilisiert zudem der Landwirtschaftssektor – sehr stark in Frankreich – gegen Konkurrenz aus Südamerika. Aber auch in Österreich ist der Widerstand groß, nicht nur in der FPÖ. Seit einem Beschluss des EU-Unterausschusses des Nationalrats im Jahr 2019, der mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, FPÖ und Liste Jetzt gefasst wurde, ist die Regierung dazu verpflichtet, sich auf EU-Ebene gegen Mercosur zu positionieren.
Österreich ist das, was man eine klassische Handelsnation nennen kann. Durch den Import von Waren und Gütern kann in Österreich eine Vielzahl an Produkten konsumiert werden, die hierzulande nicht oder nur zu deutlich höheren Preisen produziert werden könnten. Der Export heimischer Güter wiederum hat im Laufe der letzten Jahrzehnte zu beträchtlichen Wohlstandsgewinnen geführt. Die Exportquote (Waren- und Dienstleistungsexporte gemessen am Bruttoinlandsprodukt) ist laut Statistik Austria von 33,5 Prozent im Jahr 1995 auf fast 60 Prozent im Jahr 2023 gestiegen und liegt auch deutlich über dem EU-Schnitt.
Der aller größte Teil unseres Handels, rund 70 Prozent, findet mit anderen EU-Ländern statt. Die Mercosur-Staaten spielen nur eine vergleichsweise geringe Rolle. Von den rund 200 Milliarden Euro, die wir zuletzt importierten, entfielen im Vorjahr lediglich 543 Millionen Euro auf Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Mit der Region wird zudem Jahr für Jahr ein Handelsbilanzüberschuss erzielt. Das heißt wir exportieren mehr in diese Länder als wir von dort importieren. Seit 2007 machte der Handelsbilanzüberschuss kumuliert 6,5 Milliarden Euro aus. Es fließt also deutlich mehr Geld aus Südamerika nach Österreich als in die entgegengesetzte Richtung.
Besonders groß sind die Sorgen, dass Europa mit billigem Rindfleisch aus Südamerika überschwemmt werden könnte. Das ist aber schon de facto unmöglich. Der Mercosur-Entwurf sieht vor, dass insgesamt nur 99.000 Tonnen an Rindfleisch aus allen vier Ländern zu einem ermäßigten Zoll von 7,5 Prozent importiert werden dürfen. Der Rest würde, wie bisher, einem Zoll von 40 bis 45 Prozent unterliegen.
Zur Größenordnung: 99.000 Tonnen entsprechen nur gut einem Prozent des europäischen Rindfleischverbrauchs. Wie Daten der EU-Handelsdatenbank Access2Markets zeigen, waren die Importe von Rindfleisch aus den Mercosur-Ländern vor 20 Jahren schon etwas höher, spielen insgesamt aber nur eine kleine Rolle (zuletzt 4,4 Prozent). Und vor allem: Die EU-Staaten exportieren insgesamt deutlich mehr Rindfleisch als sie importieren.
Europa ist in den vergangenen Jahren beim Wirtschaftswachstum deutlich hinter anderen Regionen geblieben, der Abstand zu den USA ist beispielsweise deutlich gewachsen. Die Europäische Union könnte also zusätzliche Wachstumsimpulse sehr gut gebrauchen, vor allem in der schwächelnden Industrie. Schon bisher wurden nach Schätzungen der EU-Kommission 32.000 Jobs in Europa durch die Exporte in den Mercosur gesichert. Das könnten noch deutlich mehr werden.
Aber auch die, vor allem in Österreich, noch immer relativ hohe Inflation könnte durch eine Ausweitung des Angebots an etwas günstigeren Gütern etwas gesenkt werden.
Dazu kommen strategische Interessen, die weder Österreich noch die anderen EU-Länder aus dem Auge verlieren sollten. Bei vielen Rohstoffen, die für E-Autos, Photovoltaikanlagen oder Windräder benötigt werden, gibt es derzeit sehr starke Abhängigkeiten von China. Hier würde es also Sinn machen, sich alternative Partner aufzubauen. Lithium, Magnesium, Silicium oder seltene Erden kommen auch sehr stark in Argentinien und Brasilien vor.
Und umgekehrt gilt natürlich auch: Wenn Europa unerfüllbare Forderungen stellt, werden sich die Mercosur-Staaten noch stärker als bisher andere Handelspartner suchen, allen voran wieder China. Es geht also nicht nur darum, dass wir Wachstumschancen liegenlassen, sondern auch darum, wer künftig die Standards setzt.
Freihandelsabkommen gehen meist mit vielen Mythen und Ängsten einher. Auch vor dem Abkommen mit Kanada (Ceta) wurde mit schrillen Überschriften gewarnt, von einer Flut an Chlorhühner ist in den Supermärkten allerdings wenig zu sehen.
Ähnliches ist bei Mercosur zu erwarten. Jedes Erzeugnis, das nach Europa importiert wird, muss auch weiter die europäischen Lebensmittelsicherheitsstandards erfüllen. Zudem gibt es bei vielen Produkten maximal zulässige Kontingente (Fleisch, Zucker, Honig, Reis) sowie Schutzklauseln im Falle von plötzlichen Importanstiegen.
Handel ist aber keine Einbahn. Auch die Mercosur-Mitglieder verfolgen eigene Interessen und wollen, aus verständlichen Gründen, selber über die Details ihrer Umweltpolitik entscheiden. Ein Abkommen daran scheitern zu lassen, wäre sowohl aus ökonomischer als auch aus geopolitischer Sicht unklug. Es ist im strategischen Interesse Europa, neue Märkte – vor allem bei Rohstoffen – zu erschließen sowie mögliche eigene Partner nicht zu exklusiven Partnern von autokratischen Regimen zu machen.
Österreich als Festung zu sehen, wird in der globalen Welt, in der wir leben, nicht funktionieren. Wirtschaft ist auch kein Nullsummenspiel. Handelsabkommen wie jenes mit dem Mercosur können für beide Seiten mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze schaffen. Angesichts der schwachen wirtschaftlichen Eckdaten kann es sich weder Österreich noch die EU erlauben, auf Wachstumsimpulse zu verzichten.
Der Beschluss des deutschen Bundestags sorgt für große Erleichterung in der österreichischen Wirtschaft.
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